Reimbursement & Pricing
05.10.2017
Laut dem Bericht des statistischen Bundesamtes vom 29.09.2017 sind die Krankheitskosten für psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen im Jahr 2015 auf 44,4 Milliarden Euro gestiegen und stellen damit die zweithöchsten Ausgaben der gesamten Krankheitskosten i.H.v. 338,2 Milliarden Euro dar. Niemals zuvor waren psychische Erkrankungen so ein großes Thema wie heute. Einer in einer Pressemitteilung vorgestellten aktuellen Studie des AOK-Bundesverbands vom 14.09.2017 zufolge, stiegen die Krankschreibungen aufgrund psychischer Probleme in den letzten zehn Jahren um 79,3 Prozent an und verursachten somit Ausfallzeiten am Arbeitsplatz im Durchschnitt an 25,7 Tagen pro Jahr. Der Ausfall an Bruttowertschöpfung aufgrund psychischer Erkrankungen betrug nach Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 16,8 Milliarden Euro im Jahr 2015. Auch Wittchen und Jacobi (2013) vom Robert Koch-Institut in Berlin berichten, dass etwa 33,3 % der Bevölkerung pro Jahr eine oder mehrere psychische Störungen aufweisen. Dabei ist Depression eine der wichtigsten Einzeldiagnosen bei Arbeitsunfähigkeit. Eine weitere wichtige Entwicklung ist, dass die höchste Prävalenzrate bei jungen Menschen auftritt.
Dabei haben sich in den letzten Jahren sehr viele unterschiedliche Behandlungsmethoden und -ansätze entwickelt, die je nach Erkrankung und persönlichen Präferenzen zum Einsatz kommen. Die psychotherapeutischen Ansätze werden weitgehend von bestimmten Grundströmungen in der Psychologie beeinflusst, die auf zeitgemäßen Menschenbildern basieren. So sind die psychodynamische Sichtweise und psychoanalytische Therapieansätze seit Anfang des 20. Jahrhunderts sehr weit verbreitet, aber auch heute noch wissenschaftlich anerkannt. Die verhaltenstherapeutischen Ansätze stellen einen weiteren anerkannten Behandlungsansatz dar. Ebenso wie die systemische Therapie, bei der das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) am 24. Juli 2017 im Abschlussbericht herausgearbeitet hat, das es Hinweise für einen Nutzen dieser Therapieform gibt (Weitere Informationen beim IQWiG).
Eine neuere Entwicklung stellen Online-Psychotherapie und Online-Vorsorge Programme dar. Allerdings werden internetbasierte Interventionen in Deutschland bisher noch nicht flächendeckend angeboten, sind also noch nicht fest im Gesundheitssystem verankert. Dabei könnten internetbasierte Interventionen psychisch kranke Menschen in der Wartezeit sinnvoll unterstützen. Denn die Wartezeiten auf eine Psychotherapie betragen laut Bundespsychotherapeutenkammer im Schnitt mehr als 3 Monate und eine flächendeckende Unterstützung des psychisch kranken Menschen gibt es bisher keine. Dass die Dynamik an solchen neuen Angeboten aber zunehmen wird, zeigen auch aktuelle Forschungsprojekte wie bspw. das der European Alliance Against Depression (EAAD) und der Stiftung Deutsche Depressionshilfe mit dem Ziel einen schnelleren und breiteren Einsatz von Online Programmen zu fördern.
Im status quo werden von den gesetzlichen Krankenkassen allerdings flächendeckend nur drei Verfahren bezahlt. Das sind die analytische Psychotherapie, die Verhaltenstherapie und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Eine weitere Art ist die systemische Therapie, die aktuell im Hinblick auf eine Aufnahme in die Regelversorgung geprüft wird. Darüberhinaus gibt es die Gesprächstherapie, die zwar ebenfalls wissenschaftlich anerkannt, aber noch nicht Bestandteil der erstattungsfähigen Krankenkassenleistungen ist.
Die drei dargestellten Behandlungsansätze gibt es sowohl als Langzeit- als auch als Kurzzeittherapien. Die Kurzzeittherapie umfasst nach der Definition der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bis zu 24 Therapieeinheiten (Therapieeinheit à 50 Minuten in Einzelbehandlung) (bislang 25 Stunden bzw. Doppelstunden). Aktuelle Statistiken der Krankenkassen zeigen, dass die Mehrheit der Patienten eine Kurzzeittherapie erhält und dass die bewilligten Stundenkontingente nur bei etwa der Hälfte der Patienten voll ausgeschöpft werden. Das liegt daran, dass die Dauer einer Behandlung individuell auf den Patienten abgestimmt werden muss. Unter anderem aus diesem Grund wurde mit der Kurzzeit-Intervention, auch Akutbehandlung, die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung als schnelle Intervention bei akuten Krisen oder Vorbereitung auf Psychotherapie definiert wird, ein neues Instrument für Therapeuten geschaffen, welches auch im europäischen Ausland bekannt ist. Diese Akutbehandlung umfasst bis zu 24 Therapieeinheiten à 25 Minuten (insgesamt bis zu 600 Minuten, Mindesteinheit 25 Minuten). Psychotherapeutische Kurzzeitinterventionen sollten bei klar abgrenzbaren Problemen oder Störungen nützlich und in der Theorie zudem auch kosteneffektiv sein. Eine systematische Analyse der Effektivität von solchen Kurzzeitinterventionen in Deutschland fehlte jedoch bis heute.
Diese Lücke schließt eine systematische Literaturrecherche von randomised controlled trials, die den Nutzen von psychotherapeutischen Kurzzeitinterventionen und die Kosteneffektivität solcher Verfahren im Vergleich zu einer Standardbehandlung untersucht hat. Der entsprechende Artikel wurde im Oktober 2017 in der Zeitschrift Monitor Versorgungsforschung veröffentlicht.
Ergebnisse: Von 20 eingeschlossenen Studien untersuchten alle die Auswirkung der Therapie auf die Verringerung der klinischen Symptome. Die Hälfte davon lieferte positive Ergebnisse, neun Studien konnten keinen Effekt feststellen und in einer Studie schnitt die Kurzzeitintervention sogar schlechter ab, als die Vergleichstherapie. Drei Studien haben zudem erforscht, ob es Unterschiede in Bezug auf Remission gibt. Remission ist aus Krankenkassenperspektive noch wichtiger, da erst hier eine langfristigere Senkung der Ausgaben zu erwarten ist, als bei einer (kurzfristigen) Linderung der Symptome. Auch hier gibt es keine eindeutige Aussage, zwei Studien konnten einen positiven Nutzen der Kurzzeitintervention nachweisen, die Dritte konnte dies nicht. Darüber hinaus untersuchten zwei Studien die Patientenzufriedenheit, wobei beide einen positiven Nutzen der Kurzzeitintervention belegen konnten. Nur zwei Studien lieferten verwertbare Ergebnisse zur Kosteneffektivität. Im Vergleich zur Standardbehandlung und auch zur Langzeitbehandlung konnte dabei in beiden Studien kein Unterschied in der Kosteneffektivität nachgewiesen werden. Wenn die Wirksamkeit der Therapien also, wie oben dargestellt, sehr differenziert betrachtet werden muss und die Kosteneffektivität nicht belegt ist, dann lässt sich für die Haushaltsplanung von Krankenkassen leicht prognostizieren, dass die Ausgaben für die Behandlung psychisch erkrankter Patienten, insbesondere die Ausgaben für psychotherapeutische Leistungen, zunehmen werden.
Wie eingangs beschrieben, verdichten sich die Angebote für Patienten in der Psychotherapie. Nicht nur finden mehr Verfahrensarten den Weg in den Erstattungskatalog, auch die Art und Weise der Erbringung bietet mehrere Möglichkeiten, z.B. Dauer und Anzahl der Sitzungen. Andere niederschwellige Angebote der Psychotherapie, wie sie im Ausland teilweise schon etabliert sind, gewinnen hierzulande auch immer stärker an Bedeutung und es setzt sich eine immer größer werdende Anzahl an digitalen Angeboten (Digital Mental Health ) durch. Deprexis und Novego, beides Angebote für Depressionspatienten, haben sogar bereits erfolgreich gezeigt, dass die Regelversorgung auch für digitale Therapieformen Platz bietet. Weitere von der GKV bezahlte digital mental health Programme können bspw. der Seite der IQTG entnommen werden. Die Frage, welches Verfahren und welche Interventionsgestaltung für einen Patienten richtig ist, gestaltet sich deshalb immer schwieriger. Die Eignung verschiedener Therapien hängt von individuellen Voraussetzungen beim Patienten ab. Das sind zum einen die vorliegende psychische Problematik, aber auch persönliche Präferenzen, der Leidensdruck oder Beziehungsaspekte. Hier wird es zunehmend wichtiger die einzelnen Schnittstellen zwischen der Krankenkasse, einzelnen Therapeuten und dem Patienten selbst gut zu koordinieren, damit der Patient schnell die für ihn richtige Therapie erhält und sich auch im Verlauf der Therapie damit wohlfühlt, wodurch Mehrausgaben für ungeeignete Therapieformen eingespart werden können.
Moderne Dienstleister in der Versorgungssteuerung wie z.B. die Ge.on Case Management GmbH zeigen, dass der Einsatz verschiedener aufeinander abgestimmter Instrumente eine optimale Betreuung für die Patienten darstellt und sich die Erfolge auch in Einsparungen bei Krankenkassen messen lassen. Damit demonstriert die Ge.on auch, dass eine Kostensenkung gerade aufgrund der Qualitätssteigerung durch eine indivduelle und situativ angepasste Betreuung möglich ist.
Die Originalarbeit zum Thema Nutzen und Kosteneffektivität von Kurzzeitinterventionen
können Sie in der Zeitschrift Monitor Versorgungsforschung (05/2017) lesen.
Ein Poster zu diesem Hintergrund wurde im März 2017 bereits auch auf dem
deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie vorgestellt.